Teil 12: Gesten, Gebärden und Körperhaltungen – Das Kreuzzeichen
Mimik und Gestik sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Wir schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, um unsere Aufgeregtheit zum Ausdruck zu bringen. Wir öffnen weit unsere Augen oder greifen uns ans Herz, wenn uns eine plötzliche Überraschung ereilt. Wir breiten unsere Arme aus, wenn ein lieber Freund uns besucht, um ihn freudig zu empfangen. Mimik und Gestik unterstützen uns dabei, unser Inneres körperlich zum Ausdruck zu bringen.
Warum soll es in unserem Glauben anders sein? Der Geist, also die innere Haltung, findet auch hier Ausdruck in der körperlichen Äußerung. Gesten, Gebärden und Körperhaltungen gehören seit jeher zur Ausübung des Glaubens dazu. Auch sie unterstützen Gläubige bei der Glaubensausführung. Darum werden wir hier beim „Liturgischen ABC“ hin und wieder über die Gesten, Gebärden und Körperhaltungen reden.
Ein aufmerksamer Gottesdienstbesucher wird feststellen, dass das auffälligste Symbol im Gottesdienst das Zeichen des Kreuzes ist. Der Pfarrer „schlägt“ das Kreuz über der sich versammelten Gemeinde ganz am Anfang des Gottesdienstes. Ein Täufling wird bei seiner Taufe mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes an der Stirn und an der Brust bezeichnet. Über Brot und Wein zeichnet der Pfarrer ein Kreuz bei den Einsetzungsworten, während sie uns Blut und Leib Christi werden. Mit dem „priesterlichen Segen“ wird die Gemeinde am Ende des Gottesdienstes gesegnet und in die Welt gesandt. Das Zeichen des Kreuzes begleitet uns dabei.
Für die Mitfeiernden in der weltweiten Christenheit, ist es selbstverständlich dabei ein Kreuz über sich zu schlagen. Doch warum nicht bei uns? Haben wir es verlernt, unseren Glauben so körperlich zu äußern? Warum diese Scheu?
Dabei geht der Brauch, sich zu bekreuzigen, in altchristliche Zeit zurück. Bischofs Kyrill von Jerusalem (+ 387) ermutigte damalige Christen auf diese Weise sich öffentlich zu bekennen: „Schäme dich nicht, den Gekreuzigten zu bekennen, zeichne mutig mit Fingern das Kreuzzeichen!“ Bischof Johannes Chrysostomus von Antiochia (+ 407), einer der größten christlichen Prediger aller Zeiten, verwies auf den Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Einstellung: „Man soll das Kreuzzeichen nicht nur mit den Fingern machen, sondern es ist nötig, dabei die richtige Einstellung des Herzens und vollen Glauben zu haben.“ Für Martin Luther gehörte die Kreuz-Gebärde natürlich noch selbstverständlich dazu. Unser Evangelisches Gesangbuch erinnert uns daran und empfiehlt ausdrücklich das Kreuzzeichen mit den Worten Luthers (EG 852): „Des Abends, wenn du zu Bett gehst, kannst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sagen: Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen.“ Gleiches gilt für den Segen am Morgen (EG 815). Dabei meint Martin Luther hier das sog. große Kreuzzeichen, das in der westlichen Kirche üblicherweise so gemacht wird: Die ausgestreckten Finger der rechten Hand, die an die fünf Wundmale des Erlösers erinnern, berühren den Kopf, dann die Brust und anschließend die linke und dann die rechte Schulter.
Neben dem großen Kreuzzeichen gibt es auch das kleine Kreuzzeichen, das wir beim Evangelium machen können. Man zeichnet jeweils ein kleines Kreuz (meist mit dem Daumen) auf Stirn, Mund und Brust (Herz). Das bedeutet, dass wir bereit sind, die Frohe Botschaft mit dem Verstand zu erfassen, das Gehörte auch weiterzusagen und dass wir nicht nur mit dem Verstand glauben, sondern auch mit unserem Herzen, ja dass wir das Evangelium (wie die selige Gottesmutter Maria) im Herzen bewahren wollen.
Wie so vieles an Symbolik ist uns deutschen Evangelischen auch das Kreuzeszeichen leider über die Jahrhunderte verloren gegangen!
Doch was bedeutet dieses Kreuzeszeichen? Die Formulierung in Luthers Abendsegen deutet an, dass das Kreuzeszeichen eine Segensgeste ist: Wir legen das Zeichen des Kreuzes auf uns, um uns des Segens zu vergewissern. Segnen bedeutet, dass mein Leben in den Zusammenhang Gottes gestellt wird. Dieser Segen hat keine magische Funktion, sprich er bewahrt mich vor nichts, aber er bezeichnet mich als zu Gott gehörend. Wer gesegnet ist weiß: Ich gehöre zu dem Gott Israels und Jesu Christi und zu seiner Geschichte mit dazu.
Das Kreuz kann sehr schön diese Dimension des Segens ausdrücken: Ich bezeichne mich mit DEM Zeichen Christi. Denn in keinem anderen Zeichen ist uns das Nahe- und Mitsein Gottes so deutlich wie im Kreuz: Auch noch im Schmerz, in der Verlassenheit, im Sterben, ist dieser Gott am Kreuz da. Wer gesegnet wird, dem wird
gesagt, dass er zu diesem Gott dazugehört und er auch noch im tiefsten Dunkel nicht verlassen ist.
Aus diesem Grunde bezeichnen sich Christen beim Segnen mit dem Kreuz. Als ein persönliches Mitvollziehen: Das Mitsein dieses Gottes, seine Vergebung, seine Liebe, wie sie im Kreuz offenbar geworden sind, die gelten mir ganz persönlich, sie legen sich über mich und mein Leben. Es ist ein leibliches Nachvollziehen, was die Worte des Segens bedeuten.
Auch zu Beginn des Gottesdienstes, der Messe bekreuzigen sich die Christen bei den Worten: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!“ Mit dieser Formel stellen sie sich in die Gegenwart des Namens Gottes. Denn sein Name bedeutet: Ich-werde-da-sein, wie er Mose im Dornbusch offenbart wurde (Exodus 3,14).
Auf diesen Namen Gottes wurden wir auch getauft: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Nirgends hat sich dieser Name Gottes so bewahrheitet wie am Kreuz Jesu: Auch noch im Dunkel des Todes war ER da. Deswegen zeichnen viele das Kreuz zu dieser Eingangsformel: Sie stellen sich damit bewusst in die Gegenwart des Namens Gottes, der da ist und mitgeht im Leben, und erinnern sich gleichzeitig daran an ihre Taufe, wo dieser Name Gottes über ihrem Leben ausgesprochen worden ist. Das gilt natürlich auch für das Ende des Gottesdienstes: Unter dem Namen Gottes gehe ich nach Hause und werde in Gottes Namen in die Welt gesandt.
Wer ganzheitlich glaubt, der wird erkennen, wie wichtig und gut es ist, dass wir Gott mit allen Sinnen loben – „mit Herzen, Mund UND Händen“.