Teil 10 – Beichte
Nicht selten sind Gemeindeglieder verwundert und fragen: Wie? Wir Evangelischen kennen auch die Beichte?
Die Beichte wird von manchen als einer der entscheidenden Unterschiede zwischen evangelisch und römisch-katholisch angesehen. Aber in der Regel werden immer nur Klischees gepflegt: Sowohl darüber, wie Katholiken angeblich beichten, als auch über eine angebliche Ablehnung der Beichte auf evangelischer Seite.
Martin Luther schätzte die Beichte sehr! So sehr, dass er sich zeitlebens nicht ganz schlüssig war, ob er sie als ein Sakrament bezeichnen soll oder nicht. Ein Sakrament war für ihn von Christus eingesetzt: Es war ein dingliches Zeichen – beim Abendmahl Brot und Wein, bei der Taufe das Wasser – mit dem eine Verheißung verbunden ist: Beim Abendmahl die Gegenwart von Christus, in der Taufe das Verbundensein mit Christi Sterben und Auferstehen, in beiden die Vergebung der Sünden.
Martin Luther sah die Beichte als von Christus eingesetzt: Denn Christus sagte zu Petrus: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im
Himmel gelöst sein“ (Matthäus 16, 19). Deswegen spricht man auch vom „Amt der Schlüssel“: Ein Christ soll sich sicher sein: Wenn mir ein anderer Christ (z.B. ein von der Kirche dazu beauftragter Pfarrer) im Namen von Christus die Vergebung der Sünden zuspricht, sind sie im Himmel vergeben.
Aber die Beichte ist an kein dingliches Zeichen gebunden, kann also deswegen nicht genauso wie die Taufe oder das Abendmahl gezählt werden. Aber ein Zeichen ist sie doch trotzdem? Wie auch immer: Martin Luther lebte aus dieser Vergebung heraus und praktizierte sehr oft die Beichte. Seit 1522 predigte er regelmäßig über die Beichte im Kontext der österlichen Kommunionen. Für den Reformator war es eine Befreiung, gesagt zu bekommen: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Und ein Leben ohne solch befreiende und mutmachende Zusage konnte er sich nicht vorstellen. Die Lehre von der Beichte wurde ebenso in den Kanon lutherischer Bekenntnisschriften (z.B. in den Kleinen Katechismus) aufgenommen.
zur lutherischen liturgischen Tradition. Bis ins 18. Jahrhundert war es völlig selbstverständlich, vor der Kommunion, d.h. der Teilnahme am Heiligen Abendmahl, zum Pfarrer zur Beichte zu gehen, teilweise sogar in Beichtstühlen! So einen kann man in der Kesselsdorfer Kirche bestaunen, wo ich mein zweijähriges Vikariat absolvierte. Erst die Aufklärung schaffte die Beichte ab.
Heute haben wir Lutheraner wieder eine Agende zur Beichte. Die persönliche Beichte in einem Gespräch mit dem Pfarrer ist jederzeit möglich. Aus meiner seelsorgerischen Erfahrung als Pfarrer kann ich sagen, dass es sehr ermutigend, hilfreich und befreiend sein kann, vor einem Zeugen Schuld konkret zu bekennen und dann persönlich unter Handauflegung den Zuspruch der Vergebung (Absolution) zu erfahren.
Häufiger jedoch praktizieren wir in der Regel die gemeinsame Beichte im Gottesdienst. Nachdem wir die heiligen Worte Gottes aus der Bibel und die Predigt gehört haben, nehmen wir uns in der Stille Zeit, über unser Leben nachzudenken: Über verpasste Chancen, Fehler und wie wir an anderen schuldig geworden sind. Jeder spricht das vor Gott für sich in der Stille aus, was er zu sagen hat. Nach einem gemeinsamen Beichtbekenntnis (meist sog. „Luthers Beichtgebet“ aus dem Evangelischen Gesangbuch – EG 799) spricht der Pfarrer eine allgemeine Absolution aus.
Am Buß- und Bettag begehen wir in besonderer Weise die Gemeinsame Beichte. Zusätzlich zu dem gewohnten liturgischen Ablauf, hören wir in diesem Gottesdienst die Zehn Gebote und das Doppelgebot der Liebe. Im Lichte dieser Wahrheit Gottes sind wir eingeladen unser Herz und Gewissen zu prüfen. Dann lädt der Pfarrer an den Altar. Jedem wird unter Handauflegung zugesagt: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes spreche ich dich frei, ledig und los. Dir sind deine Sünden vergeben.“
Wer schon einmal so einen Gottesdienst mitgefeiert hat, wird bestätigen, wie intensiv die Atmosphäre ist, wie gut es tut, Zeit zum Nachdenken und Beten zu haben, und wie gut es ist, die Vergebung der Sünden persönlich zugesprochen zu bekommen, so wie Christus im Evangelium die Menschen freispricht.
Ob als Gemeinsame Beichte oder als Einzelbeichte, ihr Zeichen ist zentral: Man kann viel über das Evangelium reden, aber es im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf zugesagt zu bekommen: „Dir sind deine Sünden vergeben!“, das ist etwas ganz anderes. Und wir dürfen darauf vertrauen: Die Zusage in der Beichte ist die Vergebung von Christus. Er selbst hat gewollt, dass wir uns diese Vergebung zusprechen.