Teil 11 – Das Gloria
Ein Liturgieliebhaber (und das sind wir hoffentlich alle) wird in der Advents- bzw. in der Fastenzeit etwas vermissen. In dem Eröffnungs- und Anrufungsteil der Gottesdienstliturgie bleibt es zwischen dem Kyrieruf (Herr erbarme dich) und dem Kollekten- bzw. Tagesgebet ungewöhnlich still.
Umso mehr freut sich der Liturgiekenner wenn dieser „verschwundene“ Gesang in der Festzeit wieder zurückkehrt: Das „Gloria“.
Üblicherweise ist das „Gloria“ uns in der verkürzten Form bekannt. In der von uns praktizierten lutherischen Messform, der Form A, stimmt der Liturg oder der Chor an „Ehre sei Gott in der Höhe“, worauf die Gemeinde antwortet: „und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Amen.“ In der Festzeit unterscheidet sich das „Gloria“ in der sogenannten Form B etwas. Hier setzt der Liturg oder der Chor an „Ehre sei Gott in der Höhe“ und die Gemeinde stimmt die erste Strophe des Liedes „Allein Gott in der Höh sei Ehr…“ an (EG 179.1).
Dabei ist diese Verkürzte Form ein Teil eines längeren „Gloria“-Gesangs, dessen Text einer ganz eigenen, ungewohnten Logik folgt. Weder reimt er sich, noch ist er irgendwie einheitlich aufgebaut, was man von einem poetischen Text doch erwarten würde.
Doch warum soll ausgerechnet dieser Lobpreis jeden Sonntag gesungen werden?
Da ist zum einen seine faszinierende Geschichte:
Aus den ersten drei Jahrhunderten des Christentums haben sich nur ganz wenige Lieder erhalten: Eines davon ist das „Gloria“. Ursprünglich war es in Griechisch verfasst und stammt aus dem Osten des Mittelmeerraumes. Dieser Gesang verbindet uns mit den Christen des 2. Jahrhunderts! Und seine ungewöhnliche Form zeigt, dass die Christen der ersten Jahrhunderte sich die biblischen Psalmen zum Vorbild ihres Dichtens nahmen. Dieser Hymnus wird weltweit in allen traditionellen Kirchen bewahrt. So ist er gesungene Ökumene mit all den Christengenerationen vor uns, aber ebenso mit der ganzen weltweiten heutigen Kirche. Das allein macht ihn schon singenswert!
Genial ist aber auch sein theologischer Gedankengang, der uns am Anfang der Messe bzw. des Gottesdienstes in das Zentrum unseres christlichen Gottesbildes führt: Er beginnt mit einem uns allen vertrauten Zitat aus der Weihnachtsgeschichte, dem Lobpreis der Engel (Lukas 2,14): „Ehre sei Gott in der Höhe, und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen.“
Dieser Engelgesang wird zum Anlass genommen, den Lobpreis Gottes weiter auszuführen:
Wir loben dich, wir beten dich an, wir preisen dich, wir sagen dir Dank, um deiner großen Ehre willen.
Indem die großen Gottesnamen aufgezählt werden, schließt der erste Abschnitt des Gloria: Herr Gott, himmlischer König, Gott, allmächtiger Vater.
So weit so gut: Gott wird die Ehre gegeben! Aber nun geschieht etwas Ungewöhnliches: Auf einmal werden die gleichen Titel „Herr und Gott“ nicht mehr auf Gott den Vater bezogen, sondern auf Christus: Dieser wird nun im weiteren Verlauf angerufen als „Gott und Herr“ und wird als Erlöser, als „Lamm Gottes“, um Erbarmen angefleht:
Herr, eingeborner Sohn, Jesu Christe, du Allerhöchster. Herr Gott, Lamm Gottes, ein Sohn des Vaters, der du hinnimmst die Sünd der Welt: erbarm dich unser, der du hinnimmst die Sünd der Welt: nimm an unser Gebet, der du sitzest zu der Rechten des Vaters: erbarm dich unser.
Schließlich mündet der Hymnus in das große Bekenntnis zu Christus:
Denn du bist allein heilig, du bist allein der Herr, du bist allein der Höchst, Jesu Christe…
Bevor der ganze Hymnus in einem Lobpreis, den Vater, Sohn und Heiligen Geist zueinander in Beziehung setzt, schließt: … Jesu Christe mit dem Heilgen Geist in der Herrlichkeit Gott des Vaters. Amen
Dieser Hymnus ist ein eindrückliches Bekenntnis zur Göttlichkeit Christi. Man könnte das ganze Zeugnis des Neuen Testamentes zu Jesus als Christus, Gott, Herrn und Erlöser darin wieder finden.
Die Reformation hat das „Gloria“ bewahrt, so wie sie die gesamte Messe bewahrt hat.
Ein Versuch der Reformationszeit, das Gloria in Liedform der Gemeinde in den Mund zurück zu geben, ist das älteste, das schon erwähnte, deutschsprachige evangelische Lied: „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ (EG 179.1-3). Dieses Lied, meist leider nur mit der ersten Strophe, wird vielerorts an Stelle des Gloria gesungen.
Die oben aufgeführte Variante ist das sog. „Straßburger Gloria“ aus dem Jahr 1524, ebenso im Evangelischen Gesangbuch unter EG 180.1 zu finden. Es ist ein wahres Kleinod evangelischen liturgischen Gemeindegesangs. In der Regel ist es jedoch schon nach dem biblischen Eröffnungs-Motto zu Ende. Im Wechselgesang lohnt es sich jedoch, besonders in der Festzeit, dieses vollständige „Straßburger Gloria“ als Festgesang sich zu eigen machen. Dies werden wir in der Weihnachts- und der darauf folgenden Epipahniaszeit gemeinsam probieren. Als Zeichen der weltweiten ökumenischen Verbundenheit und als Zeichen der Verbindung mit den Christen der Alten
Kirche und
den Gläubigen aller Jahrhunderte. Aber vor allem lasst uns das Gloria umso inbrünstiger singen, weil es ein guter, theologisch und spirituell unerschöpflicher Text bleibt, der unter uns das neutestamentliche Bekenntnis zu Christus als Herrn und Gott und Lamm Gottes lebendig hält.