Teil 20: Altardiener
Seit einiger Zeit haben wir Altardiener in unserem Gottesdienst. In der typisch schwarz-weißen Gewandung oder in nur weißen Gewändern tragen sie zum Beginn und Abschluss der Evangelischen Messe das Vortragekreuz oder das Lektionar, halten die Lichter zum Evangelium, bereiten den Altar zur Feier des Abendmahls und räumen ihn auch wieder ab. Wenn Weihrauch an einem Festtag aufgelegt wird, schwenken sie das Weihrauchfass.
Viele schätzen das als eine besondere Festlichkeit, die sie in vielen anderen evangelischen Gottesdiensten sehr vermissen. Manche hingegen empfinden es als ungewohnt, dass andere als der Pfarrer vorne im Altarraum aktiv sind und vermissen eine gewisse Schlichtheit.
Ästhetische Gründe stehen in dieser Angelegenheit, aber nun überhaupt nicht im Vordergrund. Es geht um viel mehr, als nur darum sich was „Schönes“ zu gönnen.
Es gibt, was den Gottesdienst angeht, ein großes Missverständnis: Nämlich, dass der Pfarrer den Gottesdienst halten würde. Das stimmt nicht! Nach einem „größeren“ Festgottesdienst sprach mich eine Person an: „Herr Pfarrer, das war eine beeindruckende Vorstellung.“ Auf der einen Seite habe ich mich gefreut – es hat jemandem gefallen, was ich tat. Auf der anderen Seite ließ mich diese Aussage schmunzeln und nachdenken, denn genau diesem Missverständnis folgt sie: Der Pfarrer ist der Alleinunterhalter.
Der Gottesdienst am Sonntagmorgen ist jedoch die Versammlung der Gemeinde. Die Gemeinde aber ist der Leib von Christus, wie es Paulus schreibt. Als der Leib von Christus konstituiert sie sich am Sonntagmorgen immer wieder neu, um Christus in dieser Welt sichtbar zu machen.
Es geht im gemeinsamen Gottesdienst also gar nicht so sehr um mich und den lieben Gott als eine persönliche Beziehung – Beten für sich kann man genauso gut auch Zuhause.
Zunächst geht es in der christlichen Versammlung darum, dass wir als Glieder von Christus neu als Leib von Christus aufgebaut werden. Das geschieht indem wir von seinem Wort erfüllt werden und im Abendmahl das empfangen, was wir schon durch die Taufe sind: Leib von Christus. Der Gottesdienst verbindet uns also nicht nur vertikal mit Gott, sondern auch horizontal mit denen, die neben mir in der Bank sitzen. Insofern hält nicht der Pfarrer den Gottesdienst, sondern die Gemeinde als Ganze ist Trägerin der Liturgie. Der Pfarrer steht der Liturgie nur vor und leitet sie an.
Die entscheidende Frage aber ist, was die Gemeinde zur aktiven Trägerin des Gottesdienstes macht? Wie kann deutlich werden, dass wir alle gemeinsam als Leib von Christus den Gottesdienst feiern und nicht der Pastor den Gottesdienst „hält“ und wir alle nur als Hörer und Zuschauer in der Bank sitzen?
Drei Aspekte sind wichtig:
Zum einen durch verlässliche Formen.
Nur wenn die Liturgie nicht beliebig, sondern verlässlich ist, hat die Gemeinde eine Chance, selbstbewusst Gottesdienst zu feiern und nicht immer von den kreativen Ideen des Pastors abhängig zu sein und somit zum Objekt des Pastors zu werden. („In vielen Gottesdiensten fühle ich mich wie eine Marionette, die vom Pastor geführt wird.“) Unsere Gottesdienste folgen in der Regel der Form der Liturgie, wie sie auch im Gottesdienstbuch unserer Landeskirche steht.
Zum anderen: Durch eine dialogische Struktur. Den gesamten Gottesdienst durchziehen Wechselgesänge. Der Pfarrer sagt etwas und die Gemeinde antwortet, stimmt mit dem „Amen“ zu oder mit einem gesungenen oder gesprochenen Gebet. Auch das macht deutlich: Ohne die Gemeinde als Ganze kann dieser Gottesdienst gar nicht gefeiert werden.
Schließlich: Indem man die verschiedenen Ämter und Aufgaben im Gottesdienst ernst nimmt und auf möglichst viele Schultern verteilt.
Es gibt den Liturgen, der allem vorsteht. Es kann einen Prediger zusätzlich geben. Es gibt den Kantor und Organisten und den Chor/Posaunenchor. Es gibt einen Lektor, der aus der Bibel vorliest. Es gibt die, welche die Kollekte einsammeln. Jemand anders trägt die Fürbitten vor. Kirchenvorsteher oder Konfirmanden begrüßen die Gemeinde am Eingang. Andere bereiten ein Kirchenkaffee vor. Kommunionhelfer teilen mit dem Pfarrer das Abendmahl aus. Und es gibt eben auch Altardiener, die auch ihre eigenen Aufgaben haben.
Diese ganze Fülle macht deutlich: Wir alle gemeinsam feiern diesen Gottesdienst zur Ehre Gottes! Viele haben viele verschiedene Aufgaben, die sie für alle anderen ausüben. Und nicht einer für alle und alles für einen.
Und es ist besonders schön, wenn auch nicht nur der Pfarrer allein ein liturgisches Gewand trägt. Damit deutlich wird: Der Pfarrer wird durch sein Gewand nicht als etwas Besonderes herausgestellt, sondern er trägt es, wie andere auch, weil er am Sonntagmorgen eine bestimmte liturgische Aufgabe für alle übernimmt. Das weiße Gewand ist das Gewand der Getauften. So kamen die ersten Christen in der Alten Kirche sonntags zum Gottesdienst. Es steht auch heute jedem Christen zu. Und es ist gut, wenn es so viele wie möglich am Sonntagmorgen am Altar tragen. Besonders müsste es uns doch freuen, wenn Kinder aktiv am „erwachsenen“ Gottesdienst teilhaben und Gemeinschaft mit anderen Generationen üben. Auf diese Weise lernen sie Gott zu dienen und finden ihren Platz nah bei Jesus.