Teil 3 – Zum Altar Gottes will ich treten – Die Liturgie I.
Die Liturgie im Gottesdienst
Die Liturgie ist ein zeitloser, heiliger und würdiger Weg der Anbetung Gottes. Sie ist ein Erbe der vorangehenden Generationen und zugleich lebendige Teilnahme am Gottesdienst, die uns mit unseren Glaubensgeschwistern weltweit, aber auch mit den Glaubensmüttern und -vätern im Lobpreis Gottes vereint – eben über die Grenzen von Raum und Zeit. Sich diesem Weg zu nähern ist lohnenswert. Es bereichert und belebt das geistliche Leben, ordnet und macht es sinnreich.
Die gleichbleibende Ordnung des Gottesdienstes schafft die Möglichkeit, dass sich auch Besucher aus anderen Gemeinden im Gottesdienst zurecht finden und zu Hause fühlen.
Dabei sind gottesdienstliche Riten authentischer Ausdruck des Glaubens aus lebendiger Tradition, die seit urchristlichen Zeiten organisch gewachsen ist. So wirken Worte, Gesten und Zeichen ineinander und miteinander.
Die „Sprache“ der Liturgie lässt sich vergleichen mit einem Urlaub in einem fremden Land. Man versteht anfangs nichts und bekommt nur einen Eindruck von der Melodie der Sprache. Macht man sich jedoch mit der Sprache vertraut, unterscheidet man schnell einzelne Worte. Richtig gelernt, gebraucht man sie bald mühelos. Sie wird einem vertraut. Aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, können wir den ganzen Reichtum dieser „Sprache“ erfassen. Sie wird lebendig.
Orientierung im Gottesdienst
Der Gottesdienst möchte unsere Sinne und Herzen ausrichten. Das Prophetenbuch Jesaja beschreibt im Kapitel 35 Vers 10 eine konkrete Bewegungsrichtung der Völker in der Gnadenzeit: „Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein.“
Seit dem frühen Christentum wurde der Gottesdienst als wichtiges Element dieser mit Jesus angebrochenen Gnadenzeit verstanden. Das Gottesdienstgeschehen öffnet uns die Tore für das himmlische Jerusalem. Die traditionelle Gebetsrichtung nach Osten machte diese innere Haltung äußerlich wahrnehmbar und lebendig. Alte Kirchen, so wie unsere Rothenkirchner Kirche, sind in einer Ost-West-Ausrichtung erbaut, gen Orient also, wobei sich der Chorraum mit Altar im Osten befindet. Das Wort Orient stammt aus dem Lateinischen „oriri“ und kennzeichnet den Osten als Seite des Sonnenaufgangs. Von hier haben wir das Wort Orientierung entlehnt. In Kirchen ohne Ost-West-Ausrichtung wird diese Symbolik dadurch erhalten, dass ein Kruzifix auf dem Altar steht. Die Orientierung verleiht unserem Beten und Hoffen eine konkrete Richtung, aus der wir den Herrn erwarten. Sie ist ein Zeichen der Sehnsucht und der Erwartung nach dem kommenden Herrn: Zugleich ein Ausdruck wacher Bereitschaft des Kommens Christi. So kommt dieser Herr besonders im Heiligen Abendmahl selbst. Die während des Abendmahls hochgehaltene Hostie erscheint wie die aufgehende Sonne im Osten über unseren Häuptern.
Die Elemente im Gottesdienst
Grundsätzlich ist der (Mess-)Gottesdienst zweiteilig. Er beinhaltet den Wortgottesdienst und die Abendmahlsfeier. Die Gegenwart Christi ist im Evangelium gleichwertig mit der Gegenwart Christi im Abendmahl. So schrieb schon Origenes im 3. Jahrhundert: „Ihr, die ihr gewöhnlich an den göttlichen Geheimnissen teilnehmt, sollt wissen, wie ihr den Leib des Herrn, wenn ihr ihn empfangt, mit aller Vorsicht und Verehrung schützt, damit auch nicht der kleinste Teil von ihm abfalle und nichts von der verwandelten Gabe verlorengehe. […] Doch wenn ihr seinen Leib entsprechend vorsichtig bewahrt, wie könnt ihr meinen, dass es weniger schuldhaft wäre, Gottes Wort zu missachten, als seinen Leib zu missachten?”.
I. Eröffnung und Anrufung
Der Einzug ist einmal mehr und einmal weniger feierlich. Dort beginnt die Reise, der Gang zum Altar. Dabei handelt es sich nicht allein um eine äußerliche Annäherung zum Altar, sondern auch eine innere Annäherung des Liturgen und der Gottesdienstgemeinde zum Höhepunkt des Gottesdienstes – zum Heiligen Abendmahl. Die nachfolgende Liturgie führt alle Mitfeiernden dorthin.
Der Einzug der mitwirkenden Personen kann mit Vortragekreuz, Leuchtern, Bibel und Weihrauch ergänzt werden und erhält dadurch eine festliche Prägung.
Anknüpfend an die Aussage, dass nicht der Liturg das erste Wort haben soll, sah bereits Luther in seiner Gottesdienstordnung von 1526 das gemeinsam gesungene Eingangslied an dieser Stelle vor. Damit eröffnet die Gemeinde ihren Gottesdienst selbst.
Begrüßung & Votum: Der liturgische Gruß, das sog. trinitarische Votum („Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.”), macht deutlich: Gott sendet und ruft uns. In seinem Namen sind wir hier. Er ist bei uns, in unserer Mitte. Es stammt aus dem Taufbefehl (Matthäus 28, 19). Damit ist es auch eine Erinnerung an die Taufe. Die Gemeinde antwortet darauf mit: „Amen“.
Der Vers „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn“, auf den die Gemeinde mit „der Himmel und Erde gemacht hat” antwortet, stammt aus Psalm 121,2 und Psalm 124,8 und verdeutlicht, dass wir als Hilfebedürftige und Hilfesuchende zusammengekommen sind.
Die Grußformel „Der Herr sei mit euch“ stammt aus dem Alten Testament und gilt als Austausch von Segenswünschen zwischen dem Liturg und der Gemeinde. Sie erwidert: „Und mit deinem Geist.”
Der Psalm und das Gloria Patri bilden eine Einheit: Der Psalm – meist als Wechselgebet gesprochen – spiegelt die Grundstimmung des Gottesdienstes wieder. Es sind Gebete und Lieder des alttestamentlichen Volkes und daher unsere Verbindung zum Volk Israel. Die Gemeinde schließt den Psalm mit dem Gloria Patri ab: „Ehr‘ sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.” Das Gloria Patri steht u.a. für Dank und Anbetung, Kennzeichnung des biblischen Betens, Ehrerweisung Gottes und Freude über seine Gegenwart. Es entfällt von Palmsonntag bis Karsamstag.
Das dreifache „Kyrie eleison – Christe eleison – Kyrie eleison“ ist Ausdruck des Angewiesenseins auf Gottes Erbarmen. Begegnung mit Jesus wird gesucht, Heil, Trost und Heilung wird erbeten: „Christus, geh an mir nicht vorbei, wende dich mir zu. Und heile mich.“ Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an diesen Ruf, als der blinde Bartimäus am Wegesrand nahe der Stadt Jericho zu Jesus rief: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Die Urkirche hat sich diesen Ruf zu Eigen gemacht und dieser erklingt in allen traditionellen Kirchen weltweit.
Anschließend verkünden wir die Erhörung unseres Gebets und singen Gott zur Ehre das Gloria in excelsis (kurz: Gloria). Es besteht aus dem Engellobpreis der biblischen Weihnachtsgeschichte (Lukas 2, 14) „Ehre sei Gott in der Höhe // und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohngefallen. Amen“ und einem Loblied „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ (EG 179, 1) als Steigerung. Das Gloria wird im Gedenken des weihnachtlichen Jubels eingesetzt. Es entfällt daher vom 2.-4. Advent, von Aschermittwoch bis Karsamstag (außer am Gründonnerstag) und am Buß- und Bettag.
Das Tagesgebet lässt den Charakter des Sonntages anklingen, es verbindet diesen mit dem vorausgegangenen Gebetsteil (Zusammenfassung) und führt zu den folgenden Lesungen. Die Gemeinde antwortet mit: „Amen“.
III. Heiliges Abendmahl
An dieser Stelle schließt sich die Abendmahlsfeier an, das Kernstück des Gottesdienstes und der Höhepunkt des christlichen Glaubens. Eine gesonderte Betrachtung dieser erfolgt im nächsten Teil des „Liturgischen ABC“.
IV. Sendung und Segen
Die Abkündigungen aus der Gemeinde teilen Geschehenes oder Anstehendes mit. Sie informieren und laden ein mitzuwirken sowie in der Gemeinde mitzuarbeiten.
Dem Abschlusslied folgen die Sendung und der Segen. Das abrupt wirkende Ende mag verwundern. Doch die Sendung „Gehet hin im Frieden des Herrn!“ stellt weniger eine Entlassung dar, als vielmehr eine Beauftragung: Mit dem Sonntag erneuert sich die Woche, mit dem sonntäglichen Gottesdienst erneuert sich unser Herz, mit der Sendung erneuert sich die Entsendung in den Gottesdienst in der Welt. Der Gottesdienst endet nicht mit dem Amen in der Kirche, sondern wird fortgesetzt in dem Alltag. Dazu brauchen wir den Segen Gottes, den wir am Ende empfangen. Auf den Segen des Liturgen antwortet die Gemeinde mit dem gesungenen „Amen“.
Es ist sichtbar geworden, dass die Struktur, die Sinnhaftigkeit und die Orientierung an den Gnadengaben Gottes, das ist, was unsere liturgischen Gottesdienste segensreich machen. Sie führen uns auf eine würdige Weise in die wahre Anbetung hinein, von der Türschwelle des Hauses Gottes, zum Altar des Herrn und senden uns in die Welt hinaus. Nicht umsonst wurde der Gottesdienst als divina liturgia, als die heilige und göttliche Liturgie von Anfang an gefeiert. Knüpfen wir doch dort an.
II. Verkündigung und Bekenntnis
Der Glaube kommt aus dem Hören der biblischen Botschaft, darum hat die Kirche seit jeher das Wort Gottes verkündet. Diese Verkündigung des Wortes Gottes, gibt diesem Teil seinen Namen. Hier erfolgt das Hören und Nachdenken über die gelesenen Bibeltexte des Sonn-/ Feiertages. Gelesen werden die alttestamentliche Lesung bzw. die Epistel (z.B. Briefe des Apostel Paulus) und das Evangelium. Der Wechsel von Anrede und Antwort setzt sich hier auch fort. Die Lesungen aus dem Alten Testament sowie aus den Episteln enden mit: „Worte der Heiligen Schrift.“, worauf die Gemeinde antwortet: „Gott sei Lob und Dank!“.
Das Wochen-/ Tageslied hat seinen liturgischen Platz im Zusammenhang mit der Schriftlesung. So beteiligt sich die Gemeinde selbst aktiv an der Verkündigung.
Das Halleluja („preiset Gott“) dient als Aufgesang der Begrüßung des Evangeliums. Daher erhebt sich die Gemeinde vor dem Hallelujagesang und bleibt bis zum Ende der Evangelienlesung stehen. Dies gilt als Ehrerbietung. Es entfällt vom Sonntag Septuagesimäe (Vorpassion) bis Karsamstag und am Buß- und Bettag.
Der dem Evangelium vorausgegangene gesungene Vers „Ehre sei dir Herr” ist die Begrüßung Jesu, der im Evangelium selbst zu uns spricht. Die Lesung des Evangeliums findet dabei auf der Nordseite des Kirchenraumes statt; daher steht auch das Lesepult dort. An Orten, wo die Kirche nach Osten ausgerichtet ist, weist die linke Seite nach Norden. Im Norden scheint niemals die Sonne, damit gilt er als Symbol der Finsternis. Das im Norden verkündete Evangelium ist ein Licht, das in die Finsternis hinein leuchtet (Johannes 1, 5). Diese Lesung schließt mit der Versikel des Lektors: „Evangelium unseres Herrn, Jesus Christus“. Nach der Versikel erklingt der gesungene Vers der Gemeinde „Lob sei dir Christus” als Lobpreisung und Antwort auf die Lesung.
Die öffentliche Teilnahme der Gemeinde am Gottesdienst ist zugleich immer ein Bekenntnis in der Welt zum christlichen Glauben und zu der Kirche Jesu. Das gemeinsam gesprochene Glaubensbekenntnis (Credo) ist kein Gebet, sondern – wie der Name schon sagt – ein Bekenntnis, eine Vergewisserung oder eine Bekräftigung. Es ist das Bekenntnis, das wir selber von unseren Müttern und Vätern im Glauben empfangen haben und das wir auftragsgemäß weitergeben möchten. Als Antwort der Gemeinde auf die zuvor gehörten Bibelstellen bekennen wir uns z.B. mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis zu der Heiligen Dreifaltigkeit und wissen um die Tradition der biblischen und kirchlichen Überlieferung.
Predigten sind aus dem Alten Testament (Propheten) ebenso bekannt wie aus dem Neuen Testament (Johannes der Täufer, Jesus, Petrus). Sie sind von Beginn an Bestandteil christlicher Gottesdienste. Die Kanzel ist der übliche Ort der Predigt. Für verschiedene Handlungen werden auch verschiedene Orte genutzt, die ihre theologische und liturgische Bedeutung auch optisch verdeutlichen. Vor der Predigt ist es üblich, dass die Gemeinde von der Kanzel gegrüßt wird (sog. Kanzelgruß). Das stille Gebet vor der Predigt ist die Bitte für den Prediger und zugleich bereitet es unsere Herzen auf das gepredigte Wort vor: Herr, gib deinem Knecht, mit aller Freudigkeit zu reden dein Wort. Lass uns deine Stimme hören. Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie uns leiten. Amen. Die Predigt dient der feiernden Gemeinde zur Vergewisserung bzw. Stärkung des Glaubens und zur Zurüstung zum Dienst. Die Gemeinde bekräftigt das durch ihren Gesang, mit dem Predigtlied. Die Predigt kann auch überführen. Im Lichte der Wahrheit Gottes, werden Dinge in unserem Leben offenbar, die uns von Gott und von unseren Mitmenschen trennen.
Dieses greift das gemeinsame Schuldbekenntnis auf und verdeutlicht, dass wir Menschen nicht unfehlbar sind. Wir sind bedürftig nach Erlösung, die wir hier erbitten. Die zugesprochene Vergebung (Absolution), die durch das Kreuzesgeschehen und im Vertrauen darauf möglich, aber auch auf der von Jesus verliehenen Vollmacht der Kirche begründet ist, macht das Leben wieder frei. Neben der persönlichen Beichte eröffnet das gemeinsame Schuldbekenntnis ein erneuertes Leben.
Es folgen Fürbitten. Das Fürbittengebet stellt den Weltbezug der Predigt her. Darin werden dem Herrn die Not der Erde und Dank für die Welt vorgetragen. Die Fürbitten umspannen den konkreten Ort und gehen bis an „die Enden der Erde“. Uns ist aufgetragen für die Regierung zu beten. Die Gemeinde betet für die Kirchenleitung, für unseren Landesbischof, für die Erhaltung und Erneuerung der Kirche. Wir beten für die Trauernden und die Verlorenen. Damit ist auch der Gottesdienst ein Weg der Veränderung von der Klage zum Lob, zur Vergebung und zum Trost, zur Freude und zur Hoffnung. Die Fürbitten werden mit dem Vaterunser beendet, wenn kein Abendmahl folgt.